wirr #36

mein land: ein grabgestein in neuen mauern
(den alten sowieso) und wie ich welk.
die allianz von arbeitern und bauern,
von faust und denker*innen stirn zerfällt –

zerfiel, um es genau und sozusagen.
was jetzt daraus erblüht, d’raus kriecht und knospet,
darüber nur zu klagen und zu zagen
reicht nicht, wenn nun aus herbst der winter frostet.

mein land, mein herz, mein mund und meiner seel’,
was bleibt dem auf- nach vorher untergang,
wenn ich auf beide kaum bis nicht mehr zähl’?

vielleicht, mein land, dem ich erzähl’ geschichten,
deine, wie die meine drin begann,
sie in dir selber kündend einzurichten.

(241003)

wirr #35

ich kann mich dazu führen, hin zu schweben –
mit allerlei substanzen, worten, schrift –,
doch nicht gelingt es mir dabei zu leben.
ein jenseits führt mir schon zu lang’ den stift.

versunken nennt sich mein gefühl, gefahr
ist dabei jeweils öfter im verzug.
ich werd’ im trenchcoat meiner selbst gewahr
und bin als mein agent voll lug und trug.

ich sage nicht die wahrheit, nicht mal mir,
ich steh’ am abhang, schaue hoch ins tief
wie ein auf seiner jagd verlass’nes tier.

ich helf’ mir auf und stoß’ mich wieder nieder
als wenn als wach getrösteter ich schlief
und spielt’ auf deinen lippen meine lieder.

(240929)

wirr #32

das gedicht schreibt sich durch mich hindurch,
ein selbst mit eigensinn schon im beginn
des ersten worts und vers’ und ohne furcht,
zu scheitern an verstand, diskurs und sinn.

das gedicht ist auch ein spiel mit worten,
ein lego, tetris, was wohin nicht passt
an grammatisch richtig falschen orten,
wo der gedanke bleibt noch nicht gefasst.

das gedicht wird nicht bloß hingeschrieben,
man sagt, so sagen sie, es wird „gemacht“
aus etwas seltsamem, das bleibt getrieben.

das gedicht ist not und wendigkeit.
aus beiden mehr gefühltes als erdacht,
macht es sich schreibend zwischen zeilen breit.

(240925)

wirr #31

ein klavier am weiter off’nen fenster,
die ungespielten saiten still im rost,
wo auf das fenster heinen sich gespenster
und auf den rost auf saiten englisch „lost“.

ein klavier, die tasten eingeschlossen,
unberührt von ihnen auch die finger,
unerblüht auf englisch bleibt „the blossom“,
stumm und hinter ohren grün „the singer“.

die off’nen fenster schließen um zu blühen,
die klappe öffnen, um’s klavier zu spielen,
oder doch nicht tun statt bloß zu glühen?

unberührt bleibt deine stille not:
die worte wuchern wie am finger schwielen
und blüten, die verblühen rostend rot.

(240924)

wirr #30

irgendwann wird’s wieder gut – bestimmt!
dämonen schweigen still und halten’s maul,
engel zeigen ihre flügel, sind …,
du bist nicht mehr des schimmelreiters gaul.

irgendwann wird’s sicher wieder schlechter
und sonnenschein folgt regen und gewitter.
mit dem glück und pech ist’s wie das wetter;
der knappe jetzt im sattel wird sein ritter.

wird es besser, wenn es schlechter wird,
oder schlechter, wenn das gute kommt,
den hinkend gäulen joche abgeschirrt?

warte nicht, geh’ jetzt hinaus ins gute,
wo die schwarze wolke lichter sonnt,
wo wirres irren lautstark sich beruhigte!

(240921)

wirr #29

zum leben war’s und ist’s und wird’s zu viel,
zum aber sterben bleibt es viel zu wenig.
ich schreib’ es an die wand: das lebensziel,
auch wenn statt wunden welkens ich versteh’s nicht.

warum das tauen, tändeln, tummeln, träumen,
statt trinken, taumeln und zu nichts mehr taugen?
warum denn immer rauf und runter räumen,
was eh ist wie es bleibt, wo es verstauen?

statt sie zu hegen, plünd’re ich archive,
ich tüte aus und schmeiße noch mehr weg.
denn was nützte, dass ich’s neu beschriebe,

was oft gesagt, gereimt und grau besungen?
charons kahn, er schlüge weiter leck,
bis ich mit ihm ward bald im styx versunken.

(240917)

wirr #28

oder aber unter und nicht über,
übergänge statt des untergangs,
die straßenleuchten lichter statt noch trüber
als drunten kerzen eines überschwangs.

aber auch nicht über jedem unter,
was oben und was unten: gleiche eb’ne.
aus mittelmaßen schau’ ich rauf und runter,
weil ich auf beiden wegen mir begeg’ne.

ich streb’ hinab und strebe auch hinauf.
doch leitern steh’n in wackeliger schräge.
zu stürzen ist bereit ihr sprossenlauf.

ein stolpern über gras und stock und stein,
in dem ich bleibe ruhig und nicht rege
und komm’ an türen raus, nicht mehr herein.

(240912)

wirr #27

barflies hinter tresen – lippenstift –
bewährung nächtlich in der produktion
als friedensengel oder boy am lift,
als hinz, nicht kunst der revolution,

als graumelierter phoenix auf dem acker,
der sät zu düngen die verbrannte asche.
er schuftet, werkt und arbeitet auch wacker,
willfährig sein ist seines laufes masche.

gläser halb geleert, wär’n einem glas,
das klein’rer wäre, doch die volle fülle
und einem schatz die so genannte hülle.

dort an jenem tresen – nagellack –
war noch das bald der zukünfte auf zack:
als liebendere lagen wir im gras.

(240906)

wirr #24

über dächern erst bin ich behütet.
auf flügeln flegelnd werde ich geerdet.
unterirdisch dunkel ist geblütet,
wo es mit lust und leben sich beschweret.

aus dem vollen in die leere schöpfen
will ich und pinkeln in das glas halb leer.
löffel graben gräber in den töpfen,
als ob ich wen’ger werde statt noch mehr.

man sagt, ich gehe drunter und auch drüber.
in beiderleie richtung wies der kurs:
ins unten runter und hinauf ins über.

ein auf und ab, ein hin und wieder her.
ich atme ein … und aus den frechen furz,
damit erleichtert mich, was wog so schwer.

(240818)