Archiv der Kategorie: sump [AT]

sump [AT] 41

„Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und die Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.“

(Gebrüder Grimm)

im scheitelpunkt des halbkreises
der drei bildschirme
um mich:

  • links backup im bildschirmschonermodus,
  • in der mitte brief des zentralkomm!tees
  • an den politbruno rechts im tagesschau.tv,

bin ich: neunundfünfzig.
„ich auch, ich auch!“, plärrt das kind,
irgend zwischen fünf und neun.

„nimm platz auf meinem schoß“,
sag’ ich (neunundfünfzig),
„und schau’ die welt im rund!“

sagt’s kind (ängstlich):
„es ist doch nur ein halbes
rund ist nur die (bess’re) hälfte,

sind ecken dort am radius,
quer ein messer durch
mich mittelpunkt!“

(230711)

 

sump [AT] 40

zett be or not zett be,
das ist die frage,
ob ich vom balkon fall’ wie der nachtregen

oder schriebe von der heide
bei lüneburg, südlich jütland,
wo sie jetzt eben nicht grünt,

sondern violett zu blühen beginnt,
also eher à la „blaue blume“.
wobei das mit dem grünen

schon was für sich hat:
als phytoplankton wegen der beruhigung,
anders als blau schon vor dem montag.

(230709)

 

sump [AT] 35

1

im sommerregen,
der dicht in fäden
herniederstürzt,

werden die möwenküken –
noch grau – vom dach gegenüber
krähend flügge.

breiten schwingen und die
aufgeregten stimmen
über den hinterhof, dort wo

die mauerfugen erodiert
sind wie im mund der
schlothohle zahn.

2

vor ein paar wochen: zierkirschblüten
mehr auf den weg hingestreut
als noch an den ästen – rosé.

meine entfernte freundin indes
zeigt mir die prallen rosen in ihrem garten
auf facetime:

wacklige kamera, sie schwenkt
auf die katze, die ihr
zärtlich um die füße streicht.

vor ein paar jahren: kirschzitat
am selben ort wie jetzt,
etwas früher im jahr, noch knospenaufbruch.

3

im bus schaust du nach draußen,
wie der straßenrand vorbeieilt.
kräuter im rinnstein,

in den fugen der gehwegsplatten.
jetzt im sommer viel
weiteres diverses grün

am so genannt wegesrand,
einiges allerdings rings
schon verdorrt.

es sei denn ein regen
macht tiny teleskoplinsen
auf die scheiben.

4

der hain. über die straße vor dem haus,
dann an den häusern mit lauben-
gängen vorbei bis zur nächsten

ecke, kurz davor grünstreifen:
eine passantin mit hund
und barfuß, schwarze sohlen.

wie gewohnt „schweigt der sommer
von weit“, kuschelt in den schatten der bäume
jetzt am späten abend.

auf dem weg zum laden –
titanic-länge-weit –
wo ich tomaten und byebyesilikum kaufe.

(230629)

sump [AT] 32

„say my name, sun shines through the rain”

posing poem,
rote romantik,
schwarze schwere
und dagegen ich begehre
frozen foam,
behütete haut,
leichte lichter.

das ganze gedicht
eine eichtheorie der snapshots,
erzählend vom tage
und den verbytenen nächten:

klassenfoto am geländer
einer verrosteten investment-anlage-brücke:
die und die, in die verliebt ich hätte mich vorstellen können,
der und der, bei dem „freundschaft!” hätte bleiben sollen.

und ich unanwesend kluge-freundschaft
so groß mit brecht und bach,
mit allen, die so viel weiter
als im gedicht ich gedacht,
ich einziges „ach!”

und was hätte gesprochen werden müssen dagegen,
zu sein, was ich jetzt bin:
outflowinner in ruinen,
the millions’ dreams
nicht mitgeträumt,
kränkelnd und gekränkt im wach.

apropos: „6 gegen 60 millionen“.
apropos: diasporashowtime!
apropos: adagio …

der chor, die männer in freizeit-casuals,
die frauen in sommerkleidern weich geschwunger zeitlupe,
eine mit schwangerem bauch …

ich sagte und sprach also und plapperte nach
von hoffnung der widersprüche
und „utopie“.

und vom leisen jubel in den träumen,
als sie mich berührte
und ich so sehr an mich hielt,
umarmte in panik die sehnsucht:
jetzt nicht kommen zu früh!
aber ich möchte so gerne!
doch ich muss gehen.

(230618)

 

Links:

sump [AT] 31

maßnahme gegen die maßlosigkeit:
den überfluss in überdruss verwandeln.

grashalme einzeln kürzen,
immer auf dem weg der maht mit sense:

aufgabe gegen das aufgeben
annehmen wenigstens als annahme.

angenommen, es gäbe etwas
gegen das aufgeben, so wäre anzunehmen,
dass es eine aufgabe ist.

angenommen, es gäbe etwas
gegen das aufgeben, so wäre meine aufgabe,
es als solche anzunehmen.

oder eben ausnahme,
die die regel nicht bestätigt,
sondern IST.

die impotenz der revolution
gegen mich selbst
als unterdrückungssystem

indem ich jede*n tag*nacht
als außergewöhnlich empdefiniere,
lässt sich die ausnahme einnehmen
für den stetigen fluss,
es fließt, ich muss mich nicht bewegen,
nur treiben lassen von meinem trieb,
dem antrieb des auftriebs.

ich krieg
keinen mehr
hoch in frieden

angenommen, der anfang
kommt nach jedem dochnichtja
erst am ende,

so wär’ dies’ scheitern
gar nicht end-, sondern anfangsgültig:

quasi eintrittskarte
statt entlassungsschein

die maßnahme (dann):
kalkgrube

(230616)

A Dozen Dreams

Hymnische Ballade aus dem Film „The Greatest Showman“ (USA 2017, R: Michael Gracey), zur zarten Kenntlichkeit gecovert von P!nk, wie auch als Liebesthema verwendet für Eleni & Leander in der Telenovela „Sturm der Liebe“, die ich täglich schaue. Noch schöner a cappella von Voctave & Vocal Majority:

Ich hab’ nur ein dutzend Träume, die erfahren aber aus „A Million Dreams“ einen Abspalt Zuwendung für den alten Romantiker und seine imaginierten Lie[b/d]chen …

sump [AT] 13 (90. Jahrestag der Bücherverbrennung)

das buchgestäbe brennt, zerbricht,
doch was es spricht, vergehet nicht.
was nieder ist geschrieben, bleibt in aller welt,
selbst wenn es in die asche fällt.

durch all die kartenhäuser rennt die flamme,
in luftes schlösser fällt die bombe,
zur schnitterin wird ihm die amme,
zu textes hohlem zahn die plombe.

wo blätter brennen, brennt die sprache
ihr brandmal zündend ein
dem acker wie der brache
und allem vielmehr schein als sein.

vielleicht, so ist die frage,
ob brennen muss für etwas schrift,
für untergänge in der kenter-lage,
wo der bericht ist textes einz’ge pflicht.

(230510)