Archiv der Kategorie: wirr

wirr #28

oder aber unter und nicht über,
übergänge statt des untergangs,
die straßenleuchten lichter statt noch trüber
als drunten kerzen eines überschwangs.

aber auch nicht über jedem unter,
was oben und was unten: gleiche eb’ne.
aus mittelmaßen schau’ ich rauf und runter,
weil ich auf beiden wegen mir begeg’ne.

ich streb’ hinab und strebe auch hinauf.
doch leitern steh’n in wackeliger schräge.
zu stürzen ist bereit ihr sprossenlauf.

ein stolpern über gras und stock und stein,
in dem ich bleibe ruhig und nicht rege
und komm’ an türen raus, nicht mehr herein.

(240912)

wirr #27

barflies hinter tresen – lippenstift –
bewährung nächtlich in der produktion
als friedensengel oder boy am lift,
als hinz, nicht kunst der revolution,

als graumelierter phoenix auf dem acker,
der sät zu düngen die verbrannte asche.
er schuftet, werkt und arbeitet auch wacker,
willfährig sein ist seines laufes masche.

gläser halb geleert, wär’n einem glas,
das klein’rer wäre, doch die volle fülle
und einem schatz die so genannte hülle.

dort an jenem tresen – nagellack –
war noch das bald der zukünfte auf zack:
als liebendere lagen wir im gras.

(240906)

wirr #24

über dächern erst bin ich behütet.
auf flügeln flegelnd werde ich geerdet.
unterirdisch dunkel ist geblütet,
wo es mit lust und leben sich beschweret.

aus dem vollen in die leere schöpfen
will ich und pinkeln in das glas halb leer.
löffel graben gräber in den töpfen,
als ob ich wen’ger werde statt noch mehr.

man sagt, ich gehe drunter und auch drüber.
in beiderleie richtung wies der kurs:
ins unten runter und hinauf ins über.

ein auf und ab, ein hin und wieder her.
ich atme ein … und aus den frechen furz,
damit erleichtert mich, was wog so schwer.

(240818)

wirr #23

ich seufzt’ in c, in moll, in kleiner terz
und manchmal dir in dichterer sekunde.
die leeren quinten dröhnten mir ins herz,
als fuga wanderte durch sängers runde.

ihr fuß tippt auf des organons pedal,
das nylon transparent auf schwarzen tasten,
elektrostatisch’ fleisch, wiewohl halal,
es mag auf zehenspitzen zücht’ger rasten.

zum jubel fleht es aus der sing’nden münder
zu lob und preis mit pauken und trompeten.
der funke von der seide wird zum zünder,

zum blitz, zum licht, zum feuer bis zur brunst
im tempo, lauf, mich nicht mehr zu verspäten,
wenn aus des lebens mitten bebt die kunst.

(240815)

wirr #20

„Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesulein, mein Leben, / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin, / und lass dir’s wohl gefallen.“ (Choral J.S.B., BWV 469, Maybebop, Oliver Gies)

so lass’ mich, ich, doch bös’ und bess’rer sein,
schlag’ mir mein kreuz an richtigere stelle!
schenk’ mir was, nur nicht einen weit’ren ein,
ertränk’ mich trunk’nen nicht in schaum und welle!

gerade nicht, doch ich werd’ alles geben
und schwör’n auf geist und sinnen jeden eid –
noch nicht, doch dann mein ewiggestrig leben,
es möge kosten meine letzte zeit.

ich schrieb aus früh’rer krippe in die bahre,
in herz und mund und leben seele ein,
auf dass ich eine erste spur bewahre.

die nehm’ ich mir, sie hin- und herzugeben
als tempels wechselgeld, heraus, herein
mit zins, auf kosten des kredits zu leben.

(240806)

wirr #19

ich aß am tag ein halbes kilo brot
und trank zur nacht den halben liter bier.
ich tauchte ein in letzt’ren tiefes lot
und zählte beim verstecken nur bis vier.

so kam ich viel zu früh heraus zum schuss
und fiel als ludernd angeschoss’nes wild.
bevor ich übte solchen schnellen schluss
mit bläulich säuselnd’ strichen in das bild,

erfuhr ich, wie man heißt solch’ überleben:
trunkenbold und paralytiker
in wunden schößen meiner kritiker.

und ich erschrak vor broten, bieren, toten,
den schon blauen und noch purpurroten,
wenn wir die tugendpfade übertreten.

(240806)

wirr #18

kleines helles gegen großes dunkel,
bin wieder auf dem dampfer unter dämpfen.
zwei kurze für das an der bar gemunkel,
dass ich aufgegeben hab’ zu kämpfen.

weekend hingebracht ins spät verschlafen,
so schwank’ ich kugeln auf die kegelbahn,
die aus den hintertürchen alle trafen.
wässerchen mit wrackem zu befahr’n

durch trunkenen kanal von meer zu meer,
von einer pfütze weit zur nächsten pfütze
gesprungen, wasser in den gummistiefeln,

so ging’s zum kühlschrank hin und von ihm her,
tief in der stirn die jakobinermütze,
zu wandern aus den tälern zu den gipfeln.

(240803)

wirr #14

ich kann es nicht und doch gewesen sein,
war gleich nach sendeschluss zu bett gegangen.
ganz rot lackiert sind deshalb meine wangen,
ich komm’ nicht mehr heraus, drum dring’ ich ein.

jawoll! ein zweifelhaftes alibi
hab’ ich mir ausgedacht, das hält nicht stand,
bringt mich nicht fort von abgrunds steilem rand,
ein heimatschuss ins schon verwundet’ knie.

ermittlung gegen mich, ja klar, okay,
ich will die tat auch nicht mehr länger leugnen:
ich steh’ dazu und ins gefängnis geh’

nicht über „los“ und ziehe gar nichts ein,
von ACAB nicht und nicht von krimifreunden.
so bleibt mein kragen schmutzig und nicht rein.

(240727)

wirr #12

ich bin eines, das nicht spricht, doch schreibe,
was bliebe sprachlos in der s(chr)ünde schrift:
zu sagen, was am leib ich schweigend leide,
was ich mir hab’ einverleibt vom gift.

erster laut, kein erster schrei, kein atem –
man musst’ mich auf den wunden po erst schlagen.
ich wollt’ am anfang schon aufs ende warten,
keinesfalls mich aus, noch ein … hin wagen.

als kain, not able to first homicide,
ich malte mir das mal auf meine stirn,
und früh’re sommer schwiegen kalt von weit.

welch’ teil der jahrmillionen alt’ geschichten
ein stein hin schreibt in tiefgefror’nen firn,
kann ich nicht tau(ch)en aus heraus gedichten.

(240721)

wirr #11

so spricht die therapeutin, dass ich werde
selbst und ständig, kind nicht mehr, erwachsen.
an meiner seel’ berechtigte beschwerde
wäre nicht, welch’ leid wir überbrachten.

sie sagt, ich dürft’ nicht, doch ich endlich solle
sich’rer sein und aus mir dann verlässlich.
so wäre ich verlass’ner erde scholle,
statt ein grab in tiefe hin vergesslich.

sie spricht, sie zürnt und schweift ihr sommerkleid,
ich starr’ sie an als solcher, der ich bin,
wenn ich ihr klage all mein sücht’ges leid:

ich äh …, ich ob …, ich weh, ich relativ,
ich fall’ vor ihr auf nackte knie nicht hin,
als fiele ich ihr hin hinauf, nicht tief.

(240713)