über dächern erst bin ich behütet.
auf flügeln flegelnd werde ich geerdet.
unterirdisch dunkel ist geblütet,
wo es mit lust und leben sich beschweret.
aus dem vollen in die leere schöpfen
will ich und pinkeln in das glas halb leer.
löffel graben gräber in den töpfen,
als ob ich wen’ger werde statt noch mehr.
man sagt, ich gehe drunter und auch drüber.
in beiderleie richtung wies der kurs:
ins unten runter und hinauf ins über.
ein auf und ab, ein hin und wieder her.
ich atme ein … und aus den frechen furz,
damit erleichtert mich, was wog so schwer.
ich seufzt’ in c, in moll, in kleiner terz
und manchmal dir in dichterer sekunde.
die leeren quinten dröhnten mir ins herz,
als fuga wanderte durch sängers runde.
ihr fuß tippt auf des organons pedal,
das nylon transparent auf schwarzen tasten,
elektrostatisch’ fleisch, wiewohl halal,
es mag auf zehenspitzen zücht’ger rasten.
zum jubel fleht es aus der sing’nden münder
zu lob und preis mit pauken und trompeten.
der funke von der seide wird zum zünder,
zum blitz, zum licht, zum feuer bis zur brunst
im tempo, lauf, mich nicht mehr zu verspäten,
wenn aus des lebens mitten bebt die kunst.
„Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesulein, mein Leben, / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin, / und lass dir’s wohl gefallen.“ (Choral J.S.B., BWV 469, Maybebop, Oliver Gies)
so lass’ mich, ich, doch bös’ und bess’rer sein,
schlag’ mir mein kreuz an richtigere stelle!
schenk’ mir was, nur nicht einen weit’ren ein,
ertränk’ mich trunk’nen nicht in schaum und welle!
gerade nicht, doch ich werd’ alles geben
und schwör’n auf geist und sinnen jeden eid –
noch nicht, doch dann mein ewiggestrig leben,
es möge kosten meine letzte zeit.
ich schrieb aus früh’rer krippe in die bahre,
in herz und mund und leben seele ein,
auf dass ich eine erste spur bewahre.
die nehm’ ich mir, sie hin- und herzugeben
als tempels wechselgeld, heraus, herein
mit zins, auf kosten des kredits zu leben.
ich aß am tag ein halbes kilo brot
und trank zur nacht den halben liter bier.
ich tauchte ein in letzt’ren tiefes lot
und zählte beim verstecken nur bis vier.
so kam ich viel zu früh heraus zum schuss
und fiel als ludernd angeschoss’nes wild.
bevor ich übte solchen schnellen schluss
mit bläulich säuselnd’ strichen in das bild,
erfuhr ich, wie man heißt solch’ überleben:
trunkenbold und paralytiker
in wunden schößen meiner kritiker.
und ich erschrak vor broten, bieren, toten,
den schon blauen und noch purpurroten,
wenn wir die tugendpfade übertreten.
kleines helles gegen großes dunkel,
bin wieder auf dem dampfer unter dämpfen.
zwei kurze für das an der bar gemunkel,
dass ich aufgegeben hab’ zu kämpfen.
weekend hingebracht ins spät verschlafen,
so schwank’ ich kugeln auf die kegelbahn,
die aus den hintertürchen alle trafen.
wässerchen mit wrackem zu befahr’n
durch trunkenen kanal von meer zu meer,
von einer pfütze weit zur nächsten pfütze
gesprungen, wasser in den gummistiefeln,
so ging’s zum kühlschrank hin und von ihm her,
tief in der stirn die jakobinermütze,
zu wandern aus den tälern zu den gipfeln.
ich kann es nicht und doch gewesen sein,
war gleich nach sendeschluss zu bett gegangen.
ganz rot lackiert sind deshalb meine wangen,
ich komm’ nicht mehr heraus, drum dring’ ich ein.
jawoll! ein zweifelhaftes alibi
hab’ ich mir ausgedacht, das hält nicht stand,
bringt mich nicht fort von abgrunds steilem rand,
ein heimatschuss ins schon verwundet’ knie.
ermittlung gegen mich, ja klar, okay,
ich will die tat auch nicht mehr länger leugnen:
ich steh’ dazu und ins gefängnis geh’
nicht über „los“ und ziehe gar nichts ein,
von ACAB nicht und nicht von krimifreunden.
so bleibt mein kragen schmutzig und nicht rein.
ich bin eines, das nicht spricht, doch schreibe,
was bliebe sprachlos in der s(chr)ünde schrift:
zu sagen, was am leib ich schweigend leide,
was ich mir hab’ einverleibt vom gift.
erster laut, kein erster schrei, kein atem –
man musst’ mich auf den wunden po erst schlagen.
ich wollt’ am anfang schon aufs ende warten,
keinesfalls mich aus, noch ein … hin wagen.
als kain, not able to first homicide,
ich malte mir das mal auf meine stirn,
und früh’re sommer schwiegen kalt von weit.
welch’ teil der jahrmillionen alt’ geschichten
ein stein hin schreibt in tiefgefror’nen firn,
kann ich nicht tau(ch)en aus heraus gedichten.
so spricht die therapeutin, dass ich werde
selbst und ständig, kind nicht mehr, erwachsen.
an meiner seel’ berechtigte beschwerde
wäre nicht, welch’ leid wir überbrachten.
sie sagt, ich dürft’ nicht, doch ich endlich solle
sich’rer sein und aus mir dann verlässlich.
so wäre ich verlass’ner erde scholle,
statt ein grab in tiefe hin vergesslich.
sie spricht, sie zürnt und schweift ihr sommerkleid,
ich starr’ sie an als solcher, der ich bin,
wenn ich ihr klage all mein sücht’ges leid:
ich äh …, ich ob …, ich weh, ich relativ,
ich fall’ vor ihr auf nackte knie nicht hin,
als fiele ich ihr hin hinauf, nicht tief.
davor, danach, wie geht’s jetzt blauen pillen
im glas mit zesten von der blutorange?
denn wie, woher will ich den freien willen,
am brustbein überm herz die nahkampfspange?
das uhrwerk pocht, im uhrglas schwillt der sand
entgegen schwerkraft rückwärts, also oben.
der strom fließt strudellos berganverwandt
und mind’res mehr scheint umso mehr verschoben.
die drugs sind meine droogs. denn gegen alles
ist – für also nichts – kein kraut gewachsen,
das rettet aus mir mich im fall des falles.
den freien fall beschleunigt mir mein schirm.
in die steine werd’ ich worte kratzen
und mit der klinge blut’gen strich auf stirn.
(240704)
[Erläuterung]
„blaue pillen“:
Im in vielerlei Hinsicht symbolisch-ikonischen Film „Matrix“ (USA / AUS 1999, Regie: Die Wachowskis) wird der Hacker Thomas Anderson aka Neo (Keanu Reeves) von Morpheus (Laurence Fishburne) aufgefordert, ein rote oder eine blaue Pille zu schlucken, um aus der Simulation der Matrix in die wirkliche Welt zu entkommen (rote Pille = freier Wille) oder weiter als „Sklave“ in der zwar virtuellen, aber „schöneren“ Welt zu verbleiben (blaue Pille) – (Faust-Narrativ). Die Promethazin-Pillen, die ich seit einiger Zeit als Antidepressivum einnehme, sind blau.
„blutorange“ / uhrwerk“:
Rekurs auf den Film „A Clockwork Orange“ (GB 1971, Regie: Stanley Kubrick – nach dem Roman von Anthony Burgess), der sich ebenfalls mit dem freien Willen auseinandersetzt. Ein jugendlicher Straftäter soll insofern geheilt werden, als sein deliquenter Wille durch Gehirnwäsche ausgelöscht wird. „Droogs“ nennt er in der von Burgess erfundenen und von russichen Ausdrücken inspirierten Kunstsprache Nadsat die Mitglieder seiner Jugend-Gang.
„am brustbein überm herz die nahkampfspange“:
Bezug zu meiner Operation am offenen Herzen im Juni 2011, bei der mir drei Bypässe gelegt wurden – eine Art Nahkampf mit mir selbst. Die „Nahkampfspange“ wurde Wehrmachtsangehörigen verliehen, die Nah- und Grabenkämpfe überlebt hatten, indem sie feindliche Soldaten ermordeten. Problematisches Bild, passte aber gut in den Reim.
„mit der klinge blut’gen strich auf stirn“ / „in die steine werd’ ich worte kratzen“:
Rekurs auf den Auftritt von Rainald Goetz 1983 beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. Während der Lesung seines Textes „Subito“ schnitt Goetz sich mit einer Rasierklinge in die Stirnhaut. Zudem Rekurs auf Goetz’ Zitat aus „HIRN“: „Die Revolution ist die notwendige Tat. Wer sie nicht will, will das Elend des Volkes. Wenn das Volk leidet, weint der Stein. Man muss davon ausgehen, dass der Stein denkt. (Hervorhebung: jm) Die Welt ist nämlich aus Dingen gemacht. Denn nicht Tod, Leiden, Zukunft, Schuld sind wirklich, sondern Geschichte, Fortschritt, Jetzt, Glück, Leben. Eigentum aber ist Diebstahl. So gehört jede Revolution immer allen. Dies macht die Schönheit der revolutionäre Taten entwerfenden revolutionären Idee.“
grün bin ich, die vegetation,
statt dass ich bloß verdorrt noch vegetiere.
das moos auf mir ist legitimation,
dass ich den mutterboden nicht verliere.
was wächst aus mir? – der baum, den nicht gepflanzt,
um mich das haus, das hab’ ich nicht gebaut,
mit seinen mauern mich seither umstand
und durch monaden blinde fenster schaut.
es sprosst aus mir wie haar auf einer glatze, frisch rasiert – bald schon dreitagebart
als grauer hoffnungsschimmer in der fratze:
dschungel, kletterpflanze, bohnenstroh,
wenn aus den keimen ernte wird: erst zart,
dann wild, wo ich erblühe lichterloh.
(240628)
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