15
Von Neuem nicht ins nochmal Dunkle gehen,
in Finsternis, so helles Rampenlicht.
Im Stillen unter Straßenlampen stehen,
wo Motten tippend kurven ums Gedicht.
Was damals war, verstört nicht mehr das Heute.
Es sei denn, dass Vergang’nes neu erbaut,
was einst wie dann macht an mir feuchte Beute.
Ich grabe ins Gedicht ihm keinen Laut.
Ich darbe lieber, statt darein zu sinken,
dort wied’ und wieder Schiffbruch zu erleiden
und eh und jäh noch einmal zu ertrinken.
Ich pred’ge Wein und trinke stilles Wasser,
ich trock’ne meine Lieder im Vermeiden.
Unsexy! – Aber bin nicht mehr mein Hasser.
(230316)
16
Die Nacht kommt, doch es dunkelt immer später,
wenn der Frühling aufbricht seine Knospen,
auf dass ein jeder Pollen als Vertreter
findet seine Narbe. – Auf nach Osten!,
wo’s aufgestanden, das Zentralgestirn,
um im Westen müd’ sich hinzulegen
ins Liebesbett aus dämmerenden Wirr’n.
Auf von Füßen feucht markierten Stegen,
die auf den See hinaus geh’n, dort zu schwimmen,
Zug um Zug getunkt in Well’n, zur Nähe
ich traue mich ins flüssige Beginnen.
Ich zucke, wenn du kommst, bevor du gehst,
küsse deinen Spann bis hin zur Zehe,
auf dass du meine Dunkelheit verstehst.
(230318)
17
Mit Buntstift einzutragen, einzufärben
Gefühl auf einem Body-Diagramm:
Wo’s ist, wie stark und welchen will’s beerben
von Jahresringen in des Baumes Stamm?
Die Mind-Map melancholischerer Tage
zu zeichnen in gefühls-gescannte Karten,
als ob ich trüge meine Seel’ zur Waage,
ist wie ein auf mich weiterhin zu warten:
auf Fahrbereitschaft oder Stundenplan,
a conto-Buchung, weil es gilt zu spar’n,
Kredit mit Zinsen auf das Armutsalter
aus später Jugends Leichtsinn nachgezahlt,
Archiven aufgezeichnet und bewahrt …
als wär’ ich meiner Seele Hausverwalter.
(230319)
18
Welche, die aus einem Flugzeug fallen
ohne Fallschirm, aber einen Schirm
bisschen spleenig auf die Straße knallen:
Tik-tok-Tick im Schritt und hinter Stirn.
And’re, die in einem U-Boot sinken
auf den Grund, zermalmt vom Wasserdruck
so wie die, die noch als Leuchtturm blinken,
wenn ein Schiff trinkt seinen letzten Schluck.
Manche Katastrophen so im Tode
enden, doch noch eine Chance bleibt:
Aus dem Chaos zu entrinnen, ohne
dass ein Wunder wirkt an Thorax, Leber
und den and’ren Krücken in dem Leib,
wo jed’ Leben ist sein Totengräber.
(230320)
19
Von Revolution ist nichts zu halten,
solange wir sie nicht gleich jetzt gemacht.
Die Jungen folgen dabei nicht den Alten,
der Aufzug fährt itzt finst’rer in den Schacht
hinab. Er hat nicht Flügel, rennt hinauf,
er breitet über uns’ren Abendhimmel
das Tuch und ist ihm aller Trauer Tauf’;
der Dämm’rung ist er eingebläuter Schwindel.
Die Morituri grüßen dich daher,
der Aufstand findet statt im hin sich Legen
aufs Sterbebett und davon Auferstehen.
Sich überhaupt Erheben war, ach, schwer.
Erneut in Tränken stürzen wir von Stegen,
so dass wir in der’n Strömung untergehen.
(230324)
20
Charakterlich doch eher dependent,
die Hosen, Socken löchrig und vergilbt,
weil blasenschwach und kurz vor insolvent,
so habe ich ein jedes Wort versilbt.
Auf an die Küste! War dort angeschwemmt,
wo Häßchen artig in den Fenstern mümmeln.
Mit mancher hatte ich die Nacht verpennt
und ging mit ihr aufs Zimmer, zu verstümmeln
das Dasein, welchem ich stets ferngeblieben.
Gegangen nicht, gar nicht erst angekommen,
so war ich damals, wenn es hieß zu lieben.
Ich kam nicht an, ich kam nur angeschwommen,
ich tauchte auf wie ’n U-Boot aus dem Teich,
’nem Nachen, sinkend, fühlte ich mich gleich.
(230325)
21
Gibt es Heimat, wo ein Wort gedichtet
ist seit Wochen jeden Morgens Abend?
Reicht es, dass ein Seelenbild belichtet
sich, auf dass wir’s schwarz auf Weiß dann haben?
Kann ein Ort sein dort im Weiß-nicht-Wo,
ohne Pin auf einer Google-Karte?
Und wann Zeit statt Samstagabend-Show
über das hinaus, was ich erwarte?
An der Kante nicht ohn’ Gleichgewicht,
nicht in all der Träume Schwindeltaumel,
auch nicht, wo der Nebel trübt die Sicht.
Nur, wo’s Spiegelbild nicht gleich zerbricht
und ich nicht am Selbstgestrickten baumel,
sondern mich erzieh’ heraus ins Licht.
(230326)
22
Ich schaue Liebesfilme, all das Zeugs …
Als Amor send’ ich meine Sehnsuchtspfeile.
Die Horny Angels harfen Rosenstolz,
und ich steh’ grinsend an der beiden Seite.
Jed’ Wort gewinnt jetzt eigene Dynamik,
ein Sausein zwischen schrunden Herzen, Lippen …
Ach, Hilles Vers spornt meinen zücht’gen Harnisch,
in sie würd’ ich versinken von den Klippen.
Wär’ nur Dionysos nicht im Exil
im Hain der Musen und der treue Gatte
der Fadenspinnerin, ich bliebe Dichter:
Ich schraubte still an meiner Silben Stil,
ich hängte nicht so hoch nochmal die Latte
und sänge von der Lieb’ bloß als Berichter.
(230327)
23
„Tiefe Brunnen muss man graben, wenn man klares Wasser will … tiefe Wasser sind nicht still“ (Till Lindemann / Rammstein / „Rosenrot“)
Was, wenn der gute Hirte ist ein Schlächter,
wenn Schafe grasen auf zu trock’nem Acker?
Wer wäre dann ein Guter und Gerechter:
das Heu des Henkers, Haferstroh vom Hacker?
Wo, wenn der Abgrund ist ein Panorama,
ist Türchen, fädelnd mich durchs Nadelör
zum Himmel oder – auch sehr wahr – Nirvana?
Wo ist ein Ort, zerstört, den ich beschwör’
wie Orpheus seine Lieb’ im Untergrund,
wo jeder Zeus nach Sex mit Aphrodite
erzählt den Mythos törichter Vernunft?
Ich flöße Widersprüche ein dem Schlund,
ich zahl’ für’n Loft dem Hades keine Miete
und find’ dort doch geborg’ne Unterkunft.
(230329)
24
Manches, das verschwindet … niemals alles,
eben das macht es so schwer … und leicht
zugleich, wenn’s Echo solch’ verzehrten Halles
durch Räume rennt nicht, sondern stelzt und schleicht.
„Mach’ mir ’n Kind!“, verlangt von mir die Kunst.
Trotz der nassen Träume bleib’ ich trocken.
Die Gunst der Stunde und Sekund’ der Brunst …
Zwei Zeiger Lauf kann keine Uhr, ach, stoppen.
Allein, ich kann nicht Vater im Verschwinden
werden meinen Kindern und den Enkeln.
Denn ihnen bin ich, wär’n sie, nachgeboren.
Mich meinen Windeln wirklich zu entwinden,
gurrendem Gesang und Girls wie Engeln,
hab’ ich noch nicht genügend abgeschworen.
(230329)
25
Das T-Shirt über deinem Nabel enger,
ein letzter virtueller Kuss vor offline …
Mein flüchtig’ Sehnen, sehnend bleibt’s noch länger,
wird mich verlieben, bin noch immer online.
Was du getragen, zieh’ ich meinem an,
dem Leib, lebendig. Meiner Lust Bereiche
sind meiner Dürre aufgeschwemmter Schwamm
für sieben meiner ersten auf drei Streiche.
Ein Bookmark, im Archiv gespeichert’ Link,
ich send’ Emoticon, ein Winke-Wink,
weil mir ein Kuss auf lispelnd Lippen lag.
Du sagst, du seist so weit, was aber wag’
ich, der ich aufsteh’, wenn ich niedersink’
und frag’, was uns vom End’ geseh’n beginnt.
(230329)
26
Beim Absturz wirken Kräfte auf die Flügel,
als ob man plötzlich stiege, statt zu fallen.
Ein Paradox, das scheint wie eine Lüge,
gefärbt von grauer Theorie. Jetzt krallen
wir uns an Rettungsringe, rote Fäden,
an die sich derart Strohgehalmte hängen,
als hingen sie seit der Geburt am Leben,
in das sie sich doch niemals konnten drängen.
Vielmehr stand Scheitern immer auf dem Plan,
war jeder Anfang Ende einer Bahn,
vom Anfang an verstellt im Gleis die Weichen.
Nichts schichtet uns in Kellern all’ die Leichen
und nichts sortiert aus Abraum uns’ren Kram
in Zettelkästen von verstand’nen Zeichen.
(230330)
27
Ein dürres Grau, zur Nacht dann Anthrazit,
in das ich tauche „eines ersten Tags
des Frühlings“, als der Mond die Sonn’ geliebt
in Federbetten des verblich’nen Schlafs.
Der Gärtner fegt im Hof, was ist vertraut,
mit Time Machine in vor’gen Herbst zurück.
Heut’ wird’s von blauen Blumen abgestaubt,
damit eine neues Glück wächst Stück für Stück.
Doch legt ein Mehltau sich auf junge Blätter.
Das Leiden, das dort lauert allem Leben,
erscheint den Dornenblüten als ihr Retter,
als Ring am Finger, tief gesteckt in Brunnen,
als sollte ich samt Schicksal dem vergeben,
was war ins Grau als Farbe eingedrungen.
(230403)
28
Behaltet euch das Selbst vor als Geheimnis;
Privates ist politisch! – fordern wir;
verbergen so im Off’nen, was ist reines,
ganz dort verortet’, doch woand’res Hier.
Ich schreib’ davon, als wär’s ein Snapchat-Film
an allen D-Days aus der Dashcam’s Blur
die Pretty Public Privacy beim Chill’n.
Kein Day so D wie desperate, ich schwör’!
An Reck und Ringen, Barren, Schwebebalken
ist jeder Absturz sicher abgesprungen
von durch die Zeit gefallenen Gestalten.
Mit Selfies stopfen wir die tiefen Wunden,
die schlägt die heut- wie hies’ge Gegenwart
dem Ich im Wir als letztem seiner Art.
(230404)