1
Und jetzt, nach Jahren fälschender Bilanzen,
da machst du alles Falsche endlich richtig,
statt richtig falsch, wie du es trugst im Ranzen,
der Azubi, der nahm sich ach so wichtig.
„Bringt die Verhältnisse“, all das Verheeren,
so sagtest du und sprachst, ab jetzt „zum Tanzen!“
Das war die Leichtigkeit im dich Beschweren,
Gewicht des Leichtgewichts des großen Ganzen.
Du handelst jetzt mit dir in Abstinenzen
vom alten Pakt mit teuflischem Begehren,
du suchst die Weitung nicht mehr, sondern Grenzen.
Der Korridor zum Glück wird konisch enger,
die Brüste sind verdorrt. Wer wird dich nähren
auf diesem Weg, der lang und dauert länger?
(221028)
2
Nach jeder fetten Fülle kommt die Leere,
und seiner eig’nen Spur folgt dann der Kater.
Aus süßer Leichtigkeit wird bitt’re Schwere,
und vierzehn Verse suchen ihren Vater,
doch finden nur der Muttersprach’ Skelett.
Nicht Fisch, noch Fleisch, nicht wahr, schon gar nicht falsch,
ist aller Worte Hütte das Sonett.
Das Dach ein Loch, durch brüch’ge Wände schallt’s
heraus, wie du ’s hineingerufen hast:
Keine Botschaft, Echo nur und Hall
und doch Erleichterung von dumpfer Last,
als schiene Licht durch die vergittert’ Mauern
und Schwärze wich’ mit jedem Tintenschwall.
Kein ungeduldig Warten mehr, ein Lauern.
(221030)
3
Der Mangel, eine Lücke, Lückenbüßer.
Was fehlt, es ist Verschwundenes im Loch,
da wo die Fülle eng ist, bittersüßer,
Kontur nicht, Schärfe, nur ein Wedernoch.
Der Mangel hinkt, bemerkst es nicht, wo finster
das Licht ist schattenneblig ausgebremst.
Kein Weh, kein Ach, noch nicht mal das, so grinst er,
der Lebemann mit Sensensucht, Gespenst,
der schwarze Mann, vor dem sich keine Kinder
mehr fürchten, umso mehr das alte Ich,
der immer Suchende und niemals Finder.
Du nähst die Wunde mit nur einem Stich.
„Es piekst mal kurz“, sagst du und bleibst gelinder;
du Mangelhaft, Verzicht, ich liebe dich.
(221110)
4
Nur noch – nein: endlich: Herz, das Schlag um Schlag
statt Wort um Wort der Wörter Silben zählt,
das weiß, dass es all Dunkles überlebt,
wenn nur ein Licht in finst’rer Ferne lag,
weil niemals Schatten sind, wo ist kein Licht.
Da darf die Schwärze sein auf hellem Weiß,
da kann das Leise lauter sein als leis’,
da ist’s der Widerspruch, der Hoffnung spricht.
So rühr’ die Trommel nur zum Freudentanz,
zum Niederknien und aufrecht weiter Geh’n –
nie mehr zum Krieg und in den Gräbern Steh’n.
Denn jed’ getropfte Trän’ wird dann ein Glanz.
Aus jed’ Gestammel wächst ein weises Wort
und ’s Herze findet rechten Fleck und Ort.
(221224)
5
Die Pferde auf der Weide, das Gewittern
erwarten sie wie auch die Pusteblumen
den Windstoß, um darunter zu erzittern,
dass Samen taumeln über Ackerkrumen.
Aus allen Wolken fallen Regentränen
und Rüstungen verrosten an den Rittern.
Der Gärtner mit der Schere scharfen Zähnen
den Rosen köpft sogar noch ihr Erbittern,
dass im Verzicht sie eingefror’n erstarren,
dass sie gestorben sind vor dem Verblühen,
dass „not for me“ sie sich und mich verführen,
gespannt vor führerlosen Kahn und Karren,
verzogen unbekannt in Winterlaube
und unters rotte Dach der Gaube.
(230124)
6
Das Haus in Trümmern der Erneuerung,
die Türen und die Fenster weiter offen,
und im Maschinenraum die Feuerung
mit flauter Flamme lässt auf Neues hoffen.
Die Bäume kahl noch in dem ersten Winter
nach stillem Tod und Engel letzten Mai,
so stehen im Ruinenrund die Kinder
so reich und arm jetzt – und so einerlei.
Was kommt, muss geh’n, bevor es kommen kann,
denn nichts ist je gewesen, wie es bleibt.
Ein Schiff muss segeln, eh ’s im Hafen treibt.
Das Haus wird neue Menschen sicher bergen,
das Alte wird im Neuen weiter werken.
Wir gingen fort und kommen so doch an.
(230210)
7
Ein Triller auf dem Wege zur Kadenz,
Akkord aus Wind geschwind und kaum noch Luft,
ein Kettenglied im Mangel an Potenz,
der Bruch mit dem Befund der heil’gen Lust:
nur Wähnen des Gedankens in Vernunft –
Nimm’s pars pro toto nicht, gleichwohl persönlich.
Frag’ dich danach, es ist ja deine Kunst,
und bleibe in der Antwort unversöhnlich.
So bindet sich dein freier Fall in Fesseln,
die Welt steht still in Köpfen auf den Füßen
und ’s Feuer fachst du unter deinen Kesseln
erneut, statt hinzureißen dich ins Büßen.
Denn selbst der Winter hofft noch auf den Lenz,
wo Kränze jubelnd flechten ihm die Fans.
(230302)
8
Vom Zentrum aus zerbröckeln Maßes Ränder,
von innen her frisst sich Verlust des Maßes
ins Maßlos hin, wo Fülle sprengt die Bänder.
Kein Halten mehr im Untergang des Spaßes,
indem er in den Schmerzen explodiert:
ein breiter Blitz, ein feuerwässrig’ Schein,
der in die Dunkelheit stets implodiert
in Sturzgeburt, in Kindergrabes Schrein.
Ein non plus ultra, Schwindel im Moment:
Die „Wird schon werden”-Zukunft, dich zu stillen,
dass du nicht „Hilfe!” rufst, wenn’s loh schon brennt.
Denn sind’s nicht bloß des Köhlers hölzern Halden,
die glühen da, frei kontrolliert vom Willen –
Vergangenes so nah im wieder Balden?
(230304)
9
Was wäre Leidenschaft in diesen Mangeln,
in diesem Infernal, genannt Verzicht?
Wo wäre Licht in all den Schattenangeln
auf g’radem Weg zum jüngsteren Gericht?
Geradem trau’ ich nicht, schon gar nicht „straight“,
und „Edge“ ist nur ein kant’ger Übergang
vom wilder Wehen sanft, von Love in Hate,
geglättet, abrasierter Überschwang.
Wo komm’ ich her, wo geh’ ich hin? – die Fragen
sind alt und klug und nie genügend da,
dass keiner stellt’ sie im Moment des Wagens
auf CH3-CH2 und OH,
wo’s gärt und Schaum ist eine gerstig Krone
dem, der schon Jahre trocknen konnte ohne.
(230307)
10
Der Fisch, der fraß mich – Fisch nicht, sondern Wal –
mich, Jonas, biblisch Reisenden im Tran.
Denn beide sind wir eins in solcher Zahl,
die nah am Meridian von Welt und Wahn.
Die uns gefangen hat im Netz, die sah
uns zappeln, einen flink, den and’ren träge
an ihrer ausgeworf’nen Angelschräge.
Wir hingen beide dran, wir waren Schar,
ein Schwarm zu zweit, zu warm, zu arm, zu weit
von einsam sinkend Wesens Zweisamkeit.
Wir sind Gefang’ne in der selben Haut,
die Schuppentiere schwärig eingeschneit
in Meeren, die uns Himmeln gleich geblaut
und uns umnixten, doch nicht eingetaucht.
(230309)
11
Von der Hand ist nichts mehr gleich im Mund,
manchmal nur die rausgeschrie[b]’nen Worte.
Lippen und die Zunge lecken wund
sich an süßen Silben solcher Sorte.
Aus der Nacht tropft nichts mehr in den Tag,
Nacht ist nunmehr im Versteck des Schlafs,
jede gut verstaut im Traumverschlag,
Wölfe eng genäht ins Fell des Schafs.
No goes sind ein Ikebana-Strauß.
Sanft versickert ist verschwieg’ner Rausch.
In die Zeilen ist sortiert die Schrift.
Denn wo einst war’s „lüstern stets und trunken”,
bin ich in der Abstinenz versunken,
Dieb und Dirigent am Durchstreich-Stift.
(230310)
12
Mit dem Heute immer noch allein,
Schreiben, aber nicht gleich raus posaunen.
Wasser pred’gen und nicht trinken Wein,
in ein Ausverleiben rein dich staunen.
Schau hinein ins leere Glas, das halbe,
das ist nicht befüllt in and’rer Hälfte.
Denn noch keinen Sommer macht die Schwalbe,
wenn sie hoch fliegt in des Himmels Kälte.
Widerspruch ist Hoffnung im Vergleich,
nur der Unterschied stellt dir die Weichen,
lenkt den Zug aufs andersart’ge Gleis.
Lass den Fahrplan fahren auf Geheiß,
grabe nicht im Keller nach den Leichen.
Bleibe arm, du wurdest dadurch reich!
(230311)
13
Gewitter über einer Vintage-Straße;
nasse Menschen, Sommer sie durchtränkt.
Ein Blumenmädchen breitet weit im Grase
ihre Beete aus, ein jeder schwenkt
Stock und Hut ganz kopf[steinpflaster]los
und Schirme aufgespannt, dann eingefaltet
wie ein Schmetterling auf Blütenschoß
elektrisch seine Flügel ausgeschaltet.
Auch Sommertage gehen in die Nacht,
die Neonröhren – früher Bogenlampen,
Gaslicht – flackern auf. Die Fahnen schwanken,
als wär’n gehisst, am Mast sie angebracht.
Das Blumenmädchen … Regen auf den Rampen …
Hüte, Schirme aufgepflanzt den Kranken.
(230311)
14
Im damals Rausch war alles, was gewonnen,
zugleich verlor’n in bleichem Nebelrauschen.
Was ich hatt’ da von mir geschenkt bekommen,
versickerte als Knall auf Fall im Lauschen,
wie du da standest plötzlich in der Tür,
den Kaffee aufzukochen so wie mich.
Da war ich Liebender ganz ohn’ Gebühr,
der dich nicht, umso trunk’ner traufte mich.
Hallo? Zu wissen selbst, mir ist’s verwehrt,
Verkennen ist’s, ich sage, ganz verkehrt,
dich mit mir und die Lippen auszutauschen,
statt jetzt erleichtert, wirr, weil unbeschwert
noch tiefer in dich, uns’re Furt zu tauchen
indem wir einen Joint gemeinsam rauchen.
(230315)