wirr #27

barflies hinter tresen – lippenstift –
bewährung nächtlich in der produktion
als friedensengel oder boy am lift,
als hinz, nicht kunst der revolution,

als graumelierter phoenix auf dem acker,
der sät zu düngen die verbrannte asche.
er schuftet, werkt und arbeitet auch wacker,
willfährig sein ist seines laufes masche.

gläser halb geleert, wär’n einem glas,
das klein’rer wäre, doch die volle fülle
und einem schatz die so genannte hülle.

dort an jenem tresen – nagellack –
war noch das bald der zukünfte auf zack:
als liebendere lagen wir im gras.

(240906)

wirr #24

über dächern erst bin ich behütet.
auf flügeln flegelnd werde ich geerdet.
unterirdisch dunkel ist geblütet,
wo es mit lust und leben sich beschweret.

aus dem vollen in die leere schöpfen
will ich und pinkeln in das glas halb leer.
löffel graben gräber in den töpfen,
als ob ich wen’ger werde statt noch mehr.

man sagt, ich gehe drunter und auch drüber.
in beiderleie richtung wies der kurs:
ins unten runter und hinauf ins über.

ein auf und ab, ein hin und wieder her.
ich atme ein … und aus den frechen furz,
damit erleichtert mich, was wog so schwer.

(240818)

wirr #23

ich seufzt’ in c, in moll, in kleiner terz
und manchmal dir in dichterer sekunde.
die leeren quinten dröhnten mir ins herz,
als fuga wanderte durch sängers runde.

ihr fuß tippt auf des organons pedal,
das nylon transparent auf schwarzen tasten,
elektrostatisch’ fleisch, wiewohl halal,
es mag auf zehenspitzen zücht’ger rasten.

zum jubel fleht es aus der sing’nden münder
zu lob und preis mit pauken und trompeten.
der funke von der seide wird zum zünder,

zum blitz, zum licht, zum feuer bis zur brunst
im tempo, lauf, mich nicht mehr zu verspäten,
wenn aus des lebens mitten bebt die kunst.

(240815)

BRB – Be(ing) Right Back (reposted)

12 Fotografien / found footage / 30 x 20 cm / handelsüblicher Fuji Colorprint
Idee und Inszenierung: ögyr (Jörg Meyer) / September 2022

Kieler Ateliertage
24.09. – 25.09.2022, 11 – 18 Uhr
Zimmerstudio (Pumpe, 2. OG, Kiel, Haßstr. 22)

BRB (Be Right Back) ist ein typisches Kürzel in Online-Chats. Es bedeutet kurze Abwesenheit – „Bin gleich zurück“ –, also dass der/die Chat-Partner*in den Chat nicht beenden möchte, sondern nur kurz mal weg von Tastatur und Kamera/Bildschirm ist, z.B. um sich einen Kaffee zu holen.

In dieser Foto-Serie sind Screenshots zu sehen, die als found footage auf chaturbate.com aufgenommen und nur leicht bearbeitet (z.B. Entfernung von Schriftzügen oder Logos) wurden.

Chaturbate (Kofferwort aus „Chat“ und „Masturbate“) ist ein Cybersex-Portal, auf dem sich Frauen (seltener auch Männer) bei sexuellen Handlungen selbst filmen und dies live streamen. Die User können dabei nicht nur zuschauen, sondern auch mit den Broadcastern (und untereinander) chatten, öffentlich oder (dann kostenpflichtig) auch „pvt“ (private). Ferner können die User per (kostenpflichtigem) „tip“ einen „lush“ (ans Internet gekoppelter Vibrator) steuern.

Die „Sitzungen“ dauern z.T. mehrere Stunden, zwischendurch machen die Cam Girls immer mal wieder Pausen, während derer sie die Kamera weiterlaufen lassen und den kurz verlassenen Arbeitsplatz zeigen – ein zerwühltes Bett oder einen Gamer-Stuhl, z.T. wird „BRB“ über das Standbild laufend eingeblendet.

Die hier präsentierte Arbeit beschäftigt sich mit eben diesen „Leerstellen“. Sie zeigt die Arbeitsplätze als benutzte Orte, als „lost places“, die kurzzeitig ihrer Funktion enthoben sind. Was passiert im Betrachter, wenn er auf die Fortsetzung der Show wartet? Worauf wartet er? Was leitet er aus der vergangenen und noch in Spuren sichtbaren Nutzung des Ortes her, was erhofft er sich? Was fantasiert er?

Die hier in ihrer Pause abgebildeten Orte sind Sehnsuchtsorte. Sie sind banale und zugleich geheimnisvoll erregende, vor allem aber leere Bühnen. Projektionsflächen für das, was an ihnen geschehen ist und geschehen wird. Sie wirken privat, intim, gaukeln Authentizität und Individualität vor, gleichzeitig sind sie teilweise sehr ähnlich inszeniert – oder auch: von den Spuren der Inszenierung in ihnen, die kurz pausiert, gezeichnet.

Eine weitere (Über-/Meta-)Inszenierung besteht darin, dass sie hier an einem Kunstort dekonstruktiv re-inszeniert werden.

(Zum Vergrößern auf die Fotos klicken)

wirr #20

„Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesulein, mein Leben, / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin, / und lass dir’s wohl gefallen.“ (Choral J.S.B., BWV 469, Maybebop, Oliver Gies)

so lass’ mich, ich, doch bös’ und bess’rer sein,
schlag’ mir mein kreuz an richtigere stelle!
schenk’ mir was, nur nicht einen weit’ren ein,
ertränk’ mich trunk’nen nicht in schaum und welle!

gerade nicht, doch ich werd’ alles geben
und schwör’n auf geist und sinnen jeden eid –
noch nicht, doch dann mein ewiggestrig leben,
es möge kosten meine letzte zeit.

ich schrieb aus früh’rer krippe in die bahre,
in herz und mund und leben seele ein,
auf dass ich eine erste spur bewahre.

die nehm’ ich mir, sie hin- und herzugeben
als tempels wechselgeld, heraus, herein
mit zins, auf kosten des kredits zu leben.

(240806)

wirr #19

ich aß am tag ein halbes kilo brot
und trank zur nacht den halben liter bier.
ich tauchte ein in letzt’ren tiefes lot
und zählte beim verstecken nur bis vier.

so kam ich viel zu früh heraus zum schuss
und fiel als ludernd angeschoss’nes wild.
bevor ich übte solchen schnellen schluss
mit bläulich säuselnd’ strichen in das bild,

erfuhr ich, wie man heißt solch’ überleben:
trunkenbold und paralytiker
in wunden schößen meiner kritiker.

und ich erschrak vor broten, bieren, toten,
den schon blauen und noch purpurroten,
wenn wir die tugendpfade übertreten.

(240806)

wirr #18

kleines helles gegen großes dunkel,
bin wieder auf dem dampfer unter dämpfen.
zwei kurze für das an der bar gemunkel,
dass ich aufgegeben hab’ zu kämpfen.

weekend hingebracht ins spät verschlafen,
so schwank’ ich kugeln auf die kegelbahn,
die aus den hintertürchen alle trafen.
wässerchen mit wrackem zu befahr’n

durch trunkenen kanal von meer zu meer,
von einer pfütze weit zur nächsten pfütze
gesprungen, wasser in den gummistiefeln,

so ging’s zum kühlschrank hin und von ihm her,
tief in der stirn die jakobinermütze,
zu wandern aus den tälern zu den gipfeln.

(240803)

wirr #14

ich kann es nicht und doch gewesen sein,
war gleich nach sendeschluss zu bett gegangen.
ganz rot lackiert sind deshalb meine wangen,
ich komm’ nicht mehr heraus, drum dring’ ich ein.

jawoll! ein zweifelhaftes alibi
hab’ ich mir ausgedacht, das hält nicht stand,
bringt mich nicht fort von abgrunds steilem rand,
ein heimatschuss ins schon verwundet’ knie.

ermittlung gegen mich, ja klar, okay,
ich will die tat auch nicht mehr länger leugnen:
ich steh’ dazu und ins gefängnis geh’

nicht über „los“ und ziehe gar nichts ein,
von ACAB nicht und nicht von krimifreunden.
so bleibt mein kragen schmutzig und nicht rein.

(240727)